Fragwürdiges

Fragwürdiges
Sechs unordentliche Elegien

I

Fragwürdig wird das immer bleiben:
Heldenepen,
poetische Ballungen,
Erleuchtungen durch den heiligen Geist,
Dichterqualen,
dann schon lieber
My Sweet Lord zum Schunkeln
oder die Kindertotenlieder als Reggae,
selbst Fausts Himmelfahrt bereinigt nicht alle Zweifel,
man steckt eben noch ganz schön tief drin.

Da muss schon was Handfestes, Bleibendes herhalten.
Bevor nicht das letzte Staubkorn
vom Tisch der Wüsten verschwindet,
wird gebohnert und gesäubert,
gebürstet und bereinigt,
und die Stubenmädchen reiten zum Sturm.

Von acht bis fünf
Bürovorsteher,
anschließend Familienvater,
später tot.
Keine Zusammenhänge.
Selbst gleichzeitig Gehen und Armeschlenkern
verursacht Kopfzerbrechen,
aber alles andere ist nun mal zu fragwürdig,
kann man sich nicht drauf einlassen,
müssen Sie verstehen,
Herr Kollege.

Homer hat sowieso nie gelebt,
Rimbaud war ein Bluffer,
Christus eine Erfindung,
Toller doch noch zuwenig proletarisch,
Fromm ist ein Plagiator,

Benn war Faschist,
Mozart Lakai der herrschenden Klasse,
gerade noch zwei Häuserwände
assoziativkreativ bepinseln,
aber dann gleich wieder zurück in die Blaskapelle,
Hauptsache, das Mundstück ist nicht schmutzig,
der Dirigent nicht besoffen
und beim Pinkeln leert sich ordentlich die Blase.

Ansonsten kriegen wir die Welt schon in den Griff.

II

Bitte keine Zwischenrufe jetzt,
ich bin sensibel.
Vielleicht sollte ich wirklich lieber mal
einen Hammer in die Hand nehmen,
die Ärmel hochkrempeln,
aber lassen Sie mir noch Zeit.
Noch gehör ich zu denen,
die ans Absolute ranwollen,
da bleibt oft nur das Ahnen,
das ist eine andere Dimension,
da wohnen die Dichter.

Ach so.
Sie wissen also mehr von der Wirklichkeit
und können mir auch sicher kurz umreißen,
welche Wirklichkeit Sie meinen?
Eigentlich können Sie doch nur die Ihre meinen,
wenn Ihnen meine schon nicht so recht ist?

Muss eben immer was Bleibendes herhalten,
muss man sich festhalten können,
gerichtete Welt,
genormte Welt
(Stillgestanden! Rühren! Weiterdichten!)
und die Wirklichkeiten,
geharnischt und flammenden Schwerts
im Glorienschein der Hymnen und Manifeste
ihre Rekruten adelnd,
ziehen in den Krieg.

Zwischen den Fronten
eingeschlagene Fensterscheiben und
aufgeschlitzte Bäuche,
traurige alte Damen
mit Fotoalben auf den Knien,
gerechte Welt,
bewiesene Welt,
Hauptsache, allerorten
gesundes Volksempfinden,
dieses untrügliche Empfinden,
das Schäferhunde streicheln lässt
und Juden vergasen,
objektive Welt,
wissenschaftliche Welt
und immer gefühlsbetont,
Tränen in der Metzgerei
(so was kann ich nun wirklich nicht mit ansehen),
wogende Brüste beim Anblick eines Säuglings,
wenn er nur richtig koloriert ist,
südafrikanische Wirklichkeit,
Sonthofener Wirklichkeit.. ,

Und dann sitzt man doch immer wieder mal
an einem großen Tisch zusammen,
mit Freunden,
und neue sind dazugestoßen,
oder plötzlich wird man
in irgendeiner Imbissstube
von der Wärme gepackt,
Prosten, Saufen, Streiten,
man liebt und plant und hofft,
ach,
ganz egal wo,
immer wieder trifft man eben Menschen,
Menschen,
die sich einfach dauernd entwickeln,
vorleben,
keine Bedingungen ans Glück stellen,
selten schuldig sprechen
und sich nicht vertuschen.
Das kann sicher noch nicht alles sein,
aber es ist genug,
um weiterzuleben,
weiterzulachen
und weiterzudichten

III

Aber wer,
rufen die Freien,
wer ist nicht frei
im freien Land?
Seht doch,
wie die Regler das Land regeln,
untadelige Männer
mit Bürde und Ritterkreuz,
haben keine Vergangenheit,
haben nur eine Gegenwart,
leiden stets um die Zukunft,
einwandfreie Männer,
brüllen die Freien,
keimfreie Männer mit volksnahen Kehlen,
die können Sie Ihrer Tochter getrost übers Bett hängen,
gnädige Frau,
die wälzen nicht um,
die wühlen nicht auf,
die nehmen das Jungfernhäutchen noch ernst.

Seht nur,
wie sie Posters verteilen,
mit Blondschopf und Gattin, an alle Haushalte,
seht doch,
wie sie vollkommen sind,
wie sie nicht furzen bei Tisch,
wie sie in der Oper nicht schnarchen,
Politiker, Priester, Propheten,
manchmal trifft man sie
in den Hinterzimmern feiner Bordells,
im Lederkostüm,
den Hintern ausgespart,
schluchzend und wie im Gebet,
und flehen um Strafe.

Schick eine Sintflut, Herr,
in dieser Ordnung kann sich niemand mehr gestalten!

IV

Nur mal so dahingefragt, Herr Wecker,
sozusagen neben Sie hingefragt,
was hielte Sie hoch, Wecker,
wären nicht unsere Chefideologen, Päpste
und Pomadekastraten,
da müssten Sie doch mal ganz schön umdenken,
gerichtete Welt,
gewertete Welt,
muss eben immer was Bleibendes herhalten,
abspecken, Wecker, abspecken,
den Kopf unters kalte Wasser
und endlich mal wieder
ganz von vorn ofanga!

V

Vielleicht ist mein penetrantes Ja zum Leben
auch schon eine Einschränkung der Freiheit,
oder ist das ein anderes Ja
als all diese wandelbaren, ungewissen —
Sprünge unter der Schädeldecke.
Abheben,
Blitze,
durchlöcherte Schleimhäute.

VI

Innenschau und die Unschuld wiederfinden,
mit den Tieren sprechen und den Bäumen,
wandelbar sein, verwundbar,
und ans Weiter glauben.
Alle sind mündig,
und die Unschuld ist niemands Privileg.

Innenschau und Exhibitionismus,
durchs Land ziehen, aufpassen, wiedergeben,
mehr weiß ich im Moment nicht zu tun.
Hoff auf erweiterte Ausdrucksformen,
wünsch meinen Eltern ein endlos langes Leben,
versuch meinen Schwanz endlich an mich zu gewöhnen,
bedank mich bei meinen Lieben fürs Mitmachen,
hab furchtbare Angst vorm Sterben
und will später unbedingt mal ein Engel werden.
Parteibuch hab ich keins,
und ab und zu im Winter
leg ich mich auf die Sonnenbank,
aus lauter Eitelkeit.

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