Unheilbar krank

Heinz Rudolf Kunze

Warum ist sie bloß so gut zu mir?
Was hat sie vor? Fehlt bloß noch,
daß sie mir auch noch die Pantoffeln hinstellt.
Beerben würde sie mich ja sowieso,
und mich umbringen, schleichend vergiften etwa,
nein, dazu fehlt ihr der Schneid.
Irgendwie sind alle Frauengruppen spurlos an ihr vorübergegangen.
Aber bitte, wenn sie es so haben will,
wenn das gemeinsame Anhören einer Liedermacher-LP
pro Woche alles ist, was sie mir an Selbstverwirklichung abverlangt,
mir soll es recht sein.
Arbeiten will sie nicht, also bin ich ihr Zwangsernährer,
da hat man schon etwas Fürsorge verdient, das ist wahr.
Ich arbeite hart. Leben, leben,
Früherkennung und Spätschicht,
Rückvergütung und Schaumverhütung.
Aber sie tut wirklich mehr als das Notwendige.
Sie ist halt regelrecht, wie soll ich sagen,
gut zu mir.
Warum bloß? Mir fehlt doch nichts.
Oder?
Vielleicht doch!
Ja, das ist die einzige Erklärung:
Ich bin vermutlich krank, unheilbar krank,
ein langsamer, unerbittlicher Zerfall, und sie opfert sich auf,
sie hat es auf sich genommen, mir nichts zu sagen,
und mir das Unausweichliche so angenehm wie möglich zu machen.
Mein Gott. Jetzt weiß ich erst, wie sehr ich sie liebe.
Ich werde sie nicht ausfragen, das hieße ja,
sie des Wichtigsten zu berauben, was es in ihrem Leben gibt:
der Würde ihrer Aufgabe - Ich.
Jetzt bin ich beruhigt.
Jetzt weiß ich, ich kann unter Leitern durchgehen,
mich bei Blitz und Donner an Bäume lehnen,
ich werde nicht am Steuer sterben
und nicht am Gewehr.
Uralt werde ich werden,
unendlich langsam,
unermüdlich umhegt
und unheilbar krank.

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